Kunstkalender Pottikonen 2023 – Mai
Ahoi Allerseits!
Mai, wie schön! Oberhausens Wasserturm als Leuchtturm inmitten einer großen Wasserfläche. Was auf den ersten Blick wie ein Urlaubspanorama aussieht, hat durchaus einen historischen Hintergrund.
Dort wo heute Teile unserer Innenstadt liegen, befand sich zwischen 1870 und 1880 der bis zu 13 Hektar große Concordiasee. Dieser Grundwassersee entstand aus den Folgen einer Bergsenkung, die durch die Grubenarbeiten der Zeche Concordia verursacht wurde. Die stellenweise 2 Meter tiefe Überschwemmung warf die damalige Planung eines Stadtzentrums komplett über den Haufen.
In der gerade zur Stadt hochgestuften Gemeinde hatte dies damals Auswirkungen auf den Standort des Rathauses, das damals an den Bereich oberhalb des Concordiasees verschoben wurde, was auch heute dem Standort an der Schwartzstraße entspricht.
An der Trockenlegung des Sees, die durch eine Kanallegung bis an die Ruhr erfolgte, war neben der Stadt und der Concordia AG auch die Firma Grillo beteiligt. Die zurückgewonnenen Flächen waren schon bald beliebter Baugrund, auf dem 1897 z.B. die Villa des Zechendirektors der Concordia AG entstanden ist: die Villa Concordia
Bei meiner Recherche nach Informationen zur Geschichte des Wasserturms selber bin ich auf einen sehr schönen Artikel meines alten Tauchkumpels und Journalisten Christian Icking gestoßen, den er schon 1998 unter dem Titel: „Das Chateau d’Eau. Der Wasserturm an der Mülheimer Straße wird 100 Jahre alt“ geschrieben hat und der im Oberhausener Jahrbuch `98 veröffentlicht wurde.
Sowohl Christian Icking als auch Helmut Kawohl aus der Jahrbuch-Redaktion haben mir freundlicherweise gestattet, Euch den Artikel über die QR Codes des Pottikonen Kalenders zugänglich zu machen. Dafür an beide an dieser Stelle vielen Dank und einen lieben Gruß!
DAS CHATEAU D’EAU
Der Wasserturm an der Mülheimer Straße wird 100 Jahre alt
Text von Christian Icking
Dieter Michel zeigt es mit Daumen und Zeigefinger: „Der Gasometer ist die einzige Stelle, von wo aus mein Turm sooo klein ist.“
Aha: gerade einmal zigarettenschachtelhoch. In Wahrheit aber mißt sein Eigentum – das wohl ungewöhnlichste Büro- und Wohngebäude Oberhausens – vom Erdboden bis zur Fahnenstangen-Spitze etwa 60 Meter und ist als Landmarke den meisten Bürgern bekannt: der Wasserturm, mit Hausnummer eins die im Wörtsinne erste Adresse an der Mülheimer Straße. 1998 wird er 100 Jahre alt. Seit 1979 im Privatbesitz von Ute und Dieter Michel, ist er mehr als nur ein Überbleibsel hartmetallener Industriegeschichte. Dabei gehört er eigentlich zum alten Eisen: Schon seit 1965 wird er als Wasserspeicher nicht mehr gebraucht. Vor 100 Jahren aber war das anders.
Damals war der Bau von Wassertürmen im Rheinland so etwas wie die verspätete, aber konsequente Weiterführung römischer Aquäduct-Baukunst. Die ollen Römer jedenfalls hatten im 2. Jahrhundert eine Eifelwasserleitung bis nach Köln ins eroberte Land gesetzt. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts, so meinen Fachleute, habe es mit den Wassertürmen wieder Bauten zur Wasserversorgung von vergleichbarer technik-historischer Bedeutung gegeben.
Die Franzosen hoben Wassertürme gar auf eine Stufe mit Schlössern und anderen Prachtbauten, indem sie ihnen den wohlklingenden Namen „chäteaux d’eau“ gaben. Wie schön. Dem Ruhrgebietsmenschen des ausgehenden 19. Jahrhunderts hätten solch blumige Worte vom „Schloß des Wassers“ wohl nur ein müdes Lächeln abgerungen. Für Bergmänner war wichtig: Wenn du dir nach der Schicht den Dreck eines langen Arbeitstages vom Buckel spülen willst, dann brauchst du viel Wasser und ordentlich Druck auf der Brause.
Bevor es den Wasserturm an der Mülheimer Straße gab, lieferte das städtische Wasserwerk in Mülheim der Oberhausener Gutehoffnungshütte (GHH) die notwendigen Wassermengen für Kesselspeisung, gewerbliche Zwecke und Trinkwasser. Doch mit wachsendem Bedarf reichten die Kapazitäten der Nachbarstädter nicht mehr aus. 1896 wurde mit dem Bau eines eigenen Wasserwerkes an der „Aackerfähre“ begonnen. Von dort sollte Wasser aus 38 Brunnen zu einem Turm gepumpt werden, der es bei Bedarf wiederum auf die Zechen, Hütten sowie zahlreiche Einzelhäuser im Grafenbusch und an der Essener Straße verteilt. Zweck des Turms: den Wasserdruck gleichmäßiger zu halten und Verbrauchsspitzen aufzufangen.
Also stellte der GHH-Aktienverein für Bergbau und Hüttenbetrieb mit Datum vom 5. August 1897 den Antrag über den Bau des Wasserturms an das zuständige Bürgermeisteramt in Oberhausen. Der Bauantrag umfaßte eine Seite und bestand aus gerade einmal einem
Satz: „Unter Bezugnahme auf die uns unterm 6. Juli des Jahres erteilte vorläufige Bauerlaubnis übersenden wir Ihnen hierbei in doppelter Ausfertigung Beschreibung, statische Berechnung, Lageplan und Bauzeichnung des auf unserem Grundstück Flur 12, Nr. 11 und 12 hiesiger Steuergemeinde zu richtenden Wasserturmes mit der Bitte, uns nunmehr die endgültige Bauerlaubnis zu erteilen.“ Ebenso knapp die Baubeschreibung: „Der Turm wird nach angehefteten Bauplänen mit beigefügter statischer Berechnung in massivem Mauerwerk ausgeführt. Die unteren Räume sollen als Aufenthaltsort für den Wärter dienen. Die einzelnen Bühnen sind massiv durch I-Träger, welche gleichzeitig als Turmanker dienen, hergestellt und werden durch hölzerne Treppenleitern verbunden. Das Bassin ist für eine Wasseraufnahme von 1.000 m3 bemessen und wird mit einer Ummantelung von Rabitzputz versehen.“ Die gesamte statische Berechnung war auf drei Seiten niedergeschrieben, der Lageplan ließ außer fünf Bestimmungsmaßen und dem dargestellten Durchmesser des Turms fast nichts erkennen, die gesamten Bauzeichnun gen bestanden aus nur einem Plan mit Ansicht und Schnitt. Trotzdem: Die preußische Behörde ließ sich elf Monate Zeit mit der Bearbeitung. Was den Umfang des Antragsverfahrens betrifft, waren das dennoch „goldene Zeiten“ für die Bauherren, weiß Dieter Michel. Als er 82 Jahre später den Bauantrag auf Umbau und Nutzungsänderung des Turms stellte, umfaßten allein die statischen Berechnungen 52 Seiten.
Die Erteilung der Baugenehmigung wartete die GHH offenbar gar nicht erst ab. „Die müssen schon vorher angefangen haben“, sagt der heutige Besitzer. Hat er doch eine Karteikarte des Landesvermessungsamtes Nordrhein-Westfalen, die beweist, daß der Wasserturm 1898 schon in voller Höhe stand. Das wäre mit der damaligen Technik, angesichts der langen Genehmigungsfrist, gar nicht zu schaffen gewesen. Die Unterlage des Landesvermessungsamts NordrheinWestfalen belegt: Schon 1898 hatte die Preußische Landesaufnahme den Wasserturm als Landmarke entdeckt und ihn als trigonometrischen Punkt IV. Ordnung vermessen. Demnach steht der Turm exakt auf 51°29‘14“ nördlicher Breite und 6°51‘53“ östlicher Länge, und die Dachoberkante liegt 96,80 Meter über Normalnull.
400.000 Goldmark soll seinerzeit der Bau des Rundgemäuers samt Wasserbehälter gekostet haben, in einem frühen Anlagenbestand der Thyssen Niederrhein AG ist der Anschaffungswert des Turms mit 436.000 D-Mark verzeichnet – der Bilanzwert betnag allerdings nur noch eine D-Mark. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg behielt der Wasserturm seine Bedeutung für die Wasserversorgung der anliegenden Hüttenwerke, und bis 1965 diente er noch als Reserve bei Störungen oder Versorgungsengpässen der Thyssen Niederrhein AG. Seither ist der Behälter „trocken“. Größere Renovierungsarbeiten waren erst nach dem Zweiten Weltkrieg zur Beseitigung diverser Kriegsschäden erforderlich, genehmigen mußte diese Arbeiten damals noch die britische Militärregierung. Zu dieser Zeit wurde auch der Rabitzputz nicht mehr erneuert, so daß der grüne Behälter bis heute in seiner „puren Konstruktion“ zu sehen ist.
1000 Kubikmeter Wasser läßt der Behälter vom Typ Intze II, benannt nach Otto Intze, Ordinarius für Baukonstruktionslehre und Wasserbau an der Königlichen Technischen Hochschule Aachen und Preußischer Regierungsrat. Fachleute sagen, er sei ein genialer Ingenieur gewesen, der vor allem im Talsperrenbau Beachtliches geleistet habe. Also eine Million Liter Wasser ruhten auf bis zu 1,80 Meter starkem Mauerwerk. Eine Million Liter, scheint das nicht unglaublich viel Wasser zu sein? In einer Wüste vielleicht, aber nicht in einer Arbeiterstadt wie Oberhausen. Wenn sich die Stahlwerker zum Schichtwechsel auf den Hütten den Staub vom Pelz wuschen, und alle Brausen in den Kauen aufgedreht waren – dann rauschte diese Million Liter Wasser binnen fünfzehn Minuten durch die Leitungen, heißt es.
Nur eine von vielen Geschichten und Geschiehtchen, die sich um das „chäteau d’eau“ ranken. Bewohnt war der Turm eigentlich immer. Die längste Zeit wohl vom früheren Lagerverwalter der GHH, Jakob Jost, der von 1923 bis 1955 mit seiner Familie im Erdgeschoß und in der ersten Etage sein Heim hatte. Jakob Jost, ein begeisterter „Mariner“, stieg an allen Gedenktagen, bei Wind und Wetter, die 203 Treppenstufen hinauf und hißte oben auf dem Behälter die Fahne. Während weiter unten die Familie Jost einen Taubenschlag hatte, kreisten über dem Wasserturm Bussarde und Eulen, die in ihm nisteten.
Außer der Wasseraufnahme half der Turm auch beim, naja, Wasserlassen, Denn wenn die Fußballer von RWO im Niederrhein-Stadion gespielt und die Fans dabei mit so manchem Bier die kohlenstaubigen Kehlen gespült hatten, machten sie auf dem Heimweg halt am
Wasserturm. Sie mußten. Und Jost ließ sie angeblich alle ein und auf seine Toilette gehen. Auch einen Kreißsaal hat der Wasserturm ersetzt, ist in ihm doch eine Tochter Josts geboren worden. Berühmtester Gast im Jost’schen Zuhause war der „Seeteufel“ Graf Luckner, der mit dem Marinekameraden wohl so manches Seemannsgarn zu spinnen hatte und dem der Wasser- wohl fast wie ein Leuchtturm vorgekommen sein mag. Eines Tages aber war der Wasser türm wirklich überflüssig. Die Pumpentechnik war mittleweile so hoch entwickelt, daß der Wasserspeicher nicht mehr gebraucht wurde. Von 1965 bis 1978 nutzten die Hüttenwerke Oberhausen AG und als Rechtsnachfolger die Thyssen AG den Wasserturm noch für Büroräume und als eine Art überdimensionale Besenkammer. Dann schien er endgültig ausgedient zu haben. Die Stadt hätte ihn gerne übernommen und erhalten, hatte aber weder Geld dafür, noch eine Nutzungsmöglichkeit. Der öffentlich bestellte Vermessungsingenieur Dieter Michel, auf der Suche nach neuen Büroräumen für sein Vermessungsbüro, bewahrte den Turm vor dem Dahinsiechen, vielleicht sogar vor dem Abriß. Kaufte im Mai 1979 den Turm, baute ihn aufwendig zum Büroturm für seine 20 Mitarbeiter um. Auch bewohnt ist der Turm wieder: Ein Mitarbeiter Ehepaar lebt heute auf 75 Quadratmetern in eineinhalb Geschossen. Seit 1985 steht der Wasserturm unter Denkmalschutz.
Auch wenn er, vom Dach des Gasometers aus gesehen, nur die Größe einer Zigarettenschachtel zu haben scheint. Der Wasserturm an der Mülheimer Straße ist eine Oberhausener Landmarke. Nun hat das Gebäude als Blickfang neue Konkurrenz bekommen. Spannt sich doch seit wenigen Monaten eine Fußgängerbrücke mit sattem
Schwung über die Mülheimer Straße. Sie verbindet den Gewerbepark am Kaisergarten und das Technologiezentrum Umweltschutz (TZU) im und am ehemaligen GHH-Werksgasthaus. So schmiegen sich das Alte und das Neue aneinander. Und prägen gemeinsam das Bild Oberhausens.